Warum altern Menschen unterschiedlich schnell? Warum sind manche bis ins hohe Alter geistig rege und tatkräftig, während andere bereits in jüngeren Jahren kränkeln und geistig abbauen? Schuld daran ist ein Verschleiß der Schutzkappen unserer Chromosomen, der Telomere. Was man dagegen tun kann, hat die Nobelpreisträgerin Elizabeth Blackburn herausgefunden.
Waren Sie neulich mal wieder auf einem Klassentreffen? Und was ist Ihnen dabei aufgefallen? Ja, einige Ihrer ehemaligen Klassenkameraden sehen jetzt wirklich alt aus. Sie sind vielleicht ein wenig grau geworden, manche zeigen plötzlich eine nackte Stirn. Bei einigen wird die Haut zunehmend fleckiger, andere haben schon tief eingeschnittene Krähenfüße um die Augen und der Casanova von einst läuft schon unübersehbar in einer leicht gekrümmten Haltung. Wieder andere Klassenkameraden dagegen haben Glück. Ihnen sieht man das Alter gar nicht an und eigentlich sehen sie noch immer genauso aus wie früher mit Mitte Zwanzig. Ihre körperlichen Veränderungen scheinen sich viel langsamer und nur ganz allmählich zu vollziehen. Und vielleicht fragen Sie sich dann: Warum ist das so? Kann ich selbst etwas dafür tun, dass ich langsamer, eleganter altere? Warum altern Menschen so unterschiedlich schnell?
Wie schnell wir altern, hängt vom Zustand unserer Telomere ab
Einen neuartigen Erklärungsansatz zur Beantwortung auf diese Fragen haben jetzt die Nobelpreisträgerin Elizabeth Blackburn und ihre Kollegin Elissa Epel vorgelegt. Sie sagen, dass die Hauptschuldigen für einen vorzeitigen Alterungsprozess die sogenannten Telomere sind. Als Telomere bezeichnet man die einzelsträngigen Enden der Chromosomen, die mit einer speziellen Schutzkappe aus Proteinen umkleidet sind. Die Telomere sind Strukturelemente der DNA, die für die Zellstabilität verantwortlich sind. Mit jeder Zellteilung verkürzen sie sich, bis schließlich eine kritische Länge unterschritten wird und die Zelle aufhört, sich zu teilen und in Auflösung übergeht.
Mit zunehmendem Alter werden die Telomere in sämtlichen Körperzellen immer kürzer, und dieser Mechanismus trägt dann wesentlich zu den meisten Alterskrankheiten bei. Die beiden Wissenschaftlerinnen haben nun herausgefunden, dass der sich laufend verschlechternde Zustand der Telomere erklärt, warum der menschliche Körper mit zunehmendem Alter die Fähigkeit verliert, Gewebe zu regenerieren. „Der Telomer-Verschleiß trägt eindeutig und bereits frühzeitig zum Prozess des Alterns bei“, behaupten sie, nicht ohne eine frohe Botschaft ihrer Studien hinterherzuschicken: „Allerdings lässt sich diese Abnutzung verlangsamen beziehungsweise sogar umkehren.“
Warum wir eine gesunde Zellerneuerung brauchen
Die revolutionäre Entdeckung, die die Forschergruppen um Elizabeth Blackburn gemacht haben, besteht darin, dass sich die Enden unserer Chromosomen tatsächlich wieder verlängern können und wir mit einer Lebensweise, die diesen Prozess unterstützt, Gebrechlichkeiten im Alter auf einen späteren Zeitpunkt verschieben können. Altern müssen wir zwar alle, aber wie wir altern, darauf haben wir nach diesen neuesten Erkenntnissen einen wesentlichen Einfluss. „Unsere Ernährung, unser Umgang mit psychischen Belastungen, unsere sportlichen Aktivitäten, ob wir in unserer Kindheit hohem Stress ausgesetzt waren und sogar das gegenseitige Vertrauen und die Sicherheit in unserem Wohnumfeld – all diese Faktoren und weitere beeinflussen offenbar unsere Telomere und können einer vorzeitigen Zellalterung vorbeugen“, so die Forscher. Einer der Schlüssel zu einem langen, gesunden und vitalen Leben liegt schlicht darin, sein Möglichstes zu tun, um eine gesunde Zellstruktur zu fördern.
In unserem Körper befinden sich überall Zellen, die sich ständig teilen – etwa Immunzellen, Knochenzellen, Darm-, Lungen- und Leberzellen, Haut- und Haarzellen usw. Wenn wir gesund sind, dann regenerieren sie sich immer wieder. Neue Zellen erneuern so in einem fort lebenswichtige Körpergewebe und Organe. Diese fortwährende Zellerneuerung ist die Ursache dafür, dass wir uns noch immer jung fühlen. Wenn nun unsere Zellen die Fähigkeit zur Erneuerung allmählich verlieren, dann beginnen wir zu altern. Diesen Funktionsverlust unserer Zellen, der in jedem Fall irgendwann eintritt, können wir aber hinauszögern. Wir haben es also weitgehend selbst in der Hand, wie rasch wir altern und ab wann man es uns ansieht. Durch die gezielte Pflege unserer Telomere können wir es schaffen, die Lebenszeit, in der wir gesund und erfüllt leben können, zu verlängern.
Und wie alt fühlen Sie sich?
Stellen Sie sich selbst einmal die folgenden drei Fragen:
1. Wie alt sehe ich aus?
• Ich sehe jünger aus, als ich bin.
• Mein Aussehen entspricht ungefähr meinem Alter.
• Ich sehe älter aus, als ich bin.
2. Wie beurteile ich meine körperliche Gesundheit?
• Ich bin gesünder, als die meisten in meinem Alter.
• Ich bin in etwa so gesund wie die meisten in meinem Alter.
• Ich bin nicht so gesund wie die meisten in meinem Alter.
3. Wie alt fühle ich mich?
• Ich fühle mich jünger, als ich bin
• Ich fühle mich ungefähr so, wie es meinem Alter entspricht.
• Ich fühle mich älter, als ich bin.
Wenn Ihre Antworten auf alle drei Fragen ergeben, dass Sie älter aussehen und sich älter fühlen, als sie sind, dann hängt dies möglicherweise damit zusammen, dass Ihre Telomere schneller verschleißen als sie sollten. Das muss Sie aber noch nicht beunruhigen, denn Sie haben die Möglichkeit, ab sofort einiges gegen diesen vorzeitigen Verschleiß zu tun. Wir geben Ihnen dazu im folgenden ein paar Anhaltspunkte. Denken Sie darüber nach, wie Sie in dieser Hinsicht Ihren Lebensstil jeweils ändern können.
Wie wir über das Alter denken, so altern wir
Das Altern wird oftmals so negativ dargestellt, dass die meisten von uns nicht einmal daran zu denken wagen. Wenn Sie Eltern oder Großeltern hatten, die schon früh kränkelten oder einfach aufgaben, nachdem sie ein bestimmtes Alter erreicht hatten, fällt es Ihnen vielleicht schwer, sich vorzustellen, dass es möglich ist, im Alter gesund und voller Lebenskraft zu sein. Wenn Sie dagegen für sich ein klares, positives Altersbild entwickeln, dann haben Sie ein Ziel, auf das Sie hinarbeiten können, während Sie älter werden – und einen überzeugenden Grund, um Ihre Telomere und Zellen gesund zu erhalten. Wenn Sie gegenüber dem Alter positiv eingestellt sind, haben Sie, das weist es eine Studie nach, gute Chancen, siebeneinhalb Jahre länger zu leben als jemand, der ein negatives Altersbild hat. Ein guter Grund, seinen eigenen Blick auf das Altern mal zu überprüfen.
Zu viel Stress fördert ein vorzeitiges Altern
Stress ist unvermeindlich, jeder weiß das. Doch wie viel Stress können wir verkraften, ohne dass unsere Telomere geschädigt werden? Zahlreiche Studien der letzten Jahre haben eindeutig gezeigt, dass es eine Beziehung zwischen Stress und Telomer-Länge gibt. Demnach gefährdet eine kleine Dosis Stress die Telomere nicht. Ähnlich wie ein Gläschen Alkohol zweimal die Woche noch keine Krankheit auslöst. Kurze, beherrschbare Stressfaktoren sind nicht das Problem, sie entwickeln die Fähigkeit zur Selbstermächtigung und können sogar die Gesundheit der Zellen fördern. Dagegen fordert eine hohe Dosis chronischen Stesses, der sich über viele Jahre hinzieht, ihren Tribut. Wenn der Stress nicht mehr als Herausforderung betrachtet werden kann, sondern als permanente Bedrohung der eigenen Identität, dann wird es Zeit, etwas dagegen zu tun.
Die Wissenschaftler um Elizabeth Blackburn formulieren es so: „Eine einmonatige Krise am Arbeitsplatz kann belastend sein, aber es gibt keinen Grund zu der Annahme, Ihre Telomere würden dadurch Schaden nehmen“. Aber wenn Stress ein andauerndes, definierendes Merkmal Ihres Lebens wird, kann er wie ein langsam tröpfelndes Gift wirken. Je länger der Stress dauert, umso kürzer werden die Telomere.“
Der Einfluss unserer Gedanken auf die Telomere
Das Erkennen der eigenen Denkmuster ist ein wichtiger Schritt zur Förderung des Wohlbefindens. Inzwischen hat man auch herausgefunden, dass negative Denkmuster ungesund für Telomere sind. So können zynische, feindselige oder wütende Gedanken, gedankliches Abschweifen, Grübeln oder Verdrängung zu Telomer-Schäden führen. Wer unter einer dieser negativen mentalen Gewohnheiten leidet, sollte versuchen, etwas daran zu ändern. Das ist aber nicht so leicht, denn es reicht nicht , wenn Sie sich selbst befehlen, dies nicht mehr zu tun. Doch mit Hilfe des sogenannten resilienten Denkens können Sie sich vor einigen Effekten negativer Denkmuster schützen.
Dabei geht es nicht darum, die eigenen Denkmuster von heute auf morgen zu ändern, sondern darum, dass wir lernen, unseren negativen Gedanken keinen Glauben mehr zu schenken oder uns von ihnen nicht so schnell in eine negative Stimmung versetzen zu lassen. Hier geht es um das Thema Achtsamkeit und Meditation. Mit beiden Methoden lassen sich negative Gedankenmuster verändern. Man lernt dabei auch, sich nicht mehr so oft von nutzlosen und schädlichen Grübelgedanken beherrschen zu lassen.
Ein Schlüssel für eine gesunde Zellstruktur bis ins hohe Alter lautet also: Schädliche Gedankenmuster loslassen – neue Denkgewohnheiten aufbauen.
Bewegung, Schlaf und Ernährung
Hinlänglich bekannt dürfte der positive Einfluss regelmäßiger sportlicher Aktivitäten, einem ausreichenden Schlaf und einer gesunden Ernährung sein, die vor allem auf viel Obst, Gemüse und Fisch basiert und weitestgehend auf Zucker verzichtet, sein. Neu ist, dass das Forscherteam um Elizabeth Blackburn nachweisen konnte, dass wir auf diese Weise für lange Telomere sorgen können.
Man weiß beispielsweise bereits seit längerer Zeit, dass regelmäßiger Sport unsere Zellen schützt, indem er Entzündungsreaktionen entgegenwirkt und unser Immunsystem stärkt und somit unsere Anfälligkeit für Krankheiten verringert. Und jetzt gibt es eine zusätzliche Erklärung für die positiven zellulären Effekte körperlicher Aktivität: Sport trägt dazu bei, unsere Telomere gesund zu erhalten. Dies wurde von einer Studie an 1200 Zwillingspaaren bestätigt. Der aktive Zwilling hatte längere Telomere als der weniger aktive Zwilling. Auf diese Weise wurde der Zusammenhang zwischen Telomer-Länge und körperlicher Aktivität eindeutig nachgewiesen.
Derselbe Zusammenhang wurde auch zwischen einer ausgewogenen Ernährung und der Länge unserer Telomere nachgewiesen. Dabei hat sich herausgestellt, dass die „mediterrane Küche“ immer noch die gesündeste für unsere Zellen ist. Eine Vollwertkost aus frischem Gemüse, Obst, Vollkornprodukten, Nüssen, Hülsenfrüchten, Samen und Molkereiprodukten ist aber nicht nur gut für unsere Telomere – sie trägt auch dazu bei, oxidativen Stress, Entzündungsreaktionen und die Insulinresistenz zu reduzieren. Außerdem sind alle Lebensmittel mit einem hohen Gehalt an Omega-3-Fettsäuren besonders empfehlenswert: also Lachs und Thunfisch, Blattgemüse, Leinöl und Leinsamen.Eine weitere gute Nachricht lautet: Auf Kohlendhydrate oder Milch muss man nicht verzichten, auf Zucker dagegen sehr wohl. Schließlich weiß man inzwischen auch, dass die Schlafdauer für die Gesundheit unserer Zellen von großer Bedeutung ist. Dabei sind sieben Stunden Schlaf die Orientierungsgröße. Alles, was darunter liegt, verkürzt auch unsere Telomere und ist somit ein Risikofaktor für all zu schnelles Altern.
Wie Sie neue Verhaltensweisen in Ihrem Alltag verankern
Wenn wir das alles über den Prozess eines frühzeitigen Alterns wissen, dann sind wir dazu angehalten, unser Verhalten in nahezu allen Lebenbereichen zu überprüfen. Weil unser Gehirn aber auf „Automatizität“ ausgelegt ist, also eine Vorliebe dafür hat, sich möglichst wenig zu ändern oder auch nur anzustrengen, hilft es uns kaum bei einer anstehenden Verhaltensänderung. Wir können aber einiges dafür tun, dass die Automatizität unseres Gehirns nicht gegen uns arbeitet und sie quasi in gewisser Weise überlisten. Elizabeth Blackburn und Elissa Epel geben hierzu einige Tipps:
• Kleine Schritte: Schlüpfen Sie mühelos und in kleinen Schritten in Ihre neue Gewohnheit. Wenn Sie mehr Schlaf bekommen wollen, versuchen Sie nicht, jede Nacht eine Stunde früher ins Bett zu gehen. Das ist ein zu großer Schritt. Gehen Sie zunächst jeden Abend fünfzehn Minuten früher zu Bett. Oder Sie setzen sich ein noch bescheideneres Ziel: zehn oder fünf Minuten … von hier aus können Sie sich langsam an Ihr Ziel heranarbeiten.
• „Aufpfropfen“: Verknüpfen Sie eine kleine Verhaltensänderung mit einer täglichen Routineaktivität. Dann müssen Sie nicht jedes Mal extra daran denken, und sie wird schließlich ebenfalls zu einer Routine. Also verknüpfen Sie etwa Ihre Mittagspause mit einem Spaziergang. Wenn Sie ein neues Verhalten mit einer Aktivität verknüpfen, die bereits ein fester Bestandteil Ihres Alltags ist, so macht es Ihnen dieses Verhalten leichter, an Ihrem Plan festzuhalten.
• Morgenstund hat Gold im Mund: Planen Sie Ihr neues Verhalten am Morgen ein. Je früher am Tag Sie sich Zeit dafür nehmen, umso wahrscheinlicher ist es, dass dieses Verhalten nicht von anderen dringenden Prioritäten verdrängt wird.
• Nicht entscheiden – einfach handeln: Wenn es Zeit ist, ins Fitnessstudio zu gehen (oder irgendein anderes neues Verhalten einzuüben), sollten Sie sich nicht fragen: „Sollte ich?“ Es ist ermüdend, Entscheidungen zu treffen. Und in einem schwachen Moment mag die Antwort vielleicht lauten: „Morgen“. Gehen Sie einfach. Denken Sie nicht weiter darüber nach.
• Loben Sie sich: Jedes Mal, wenn Sie das neue Verhalten praktizieren, sollten Sie sich selbst loben. Sagen Sie bewusst zu sich „Hervorragend!“ oder „Ich hab‘s geschafft!“ oder „Erledigt“ und lassen Sie sich den Stolz spüren. Oder legen Sie jedes mal ein paar Münzen beiseite, um sich nach dem zehnten Mal irgendetwas zu gönnen.
Das Altern muss uns keine Angst machen. Wir müssen nicht dagegen ankämpfen. Wir wollen aber auch nicht mit fünfzig wie siebzig aussehen. Fangen Sie also am besten gleich damit an, Ihr Leben so umzugestalten, dass Sie die beste Aussicht auf ein „gutes“ Altern haben. Es gibt so vieles, was Sie dafür tun können, um möglichst lange gesund zu bleiben und ein selbstbestimmtes, erfülltes Leben zu genießen.
Winfried Hille
Den ganzen Artikel und weitere Tipps gegen vorzeitiges Altern finden Sie in unserer Ausgabe bewusster leben 5/2017
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