Die Kunst der Freundschaft

Häufig vernachlässigen wir unsere Freundschaften, weil uns Beruf und Familie voll in Anspruch nehmen. Der Psychotherapeut Wolfgang Krüger weiß: Das ist ein Fehler, denn gute Freundschaften sind ein wichtiger Glücksfaktor. Sie können unsere Lebensspanne sogar erheblich verlängern.

Wir brauchen feste, verlässliche Bindungen, um uns selbst zu fühlen. Das Glück des Lebens würde darin bestehen, Bindungen einzugehen, sagte deshalb die Schriftstellerin Christa Wolf. Wir brauchen ein soziales Dorf, das uns innerlich stützt. Freundschaften sind daher wichtig für unsere Lebensqualität. Sie sind so wichtig, dass man mit guten Freundschaften über zwanzig Prozent länger, selbstbewusster und vor allem glücklicher lebt.

Was sind wahre Freundschaften?

Doch was sind gute Freundschaften? Bereits Aristoteles hat festgestellt, dass wir nur dann von echten Freundschaften sprechen sollten, wenn es sich um eine Herzensbeziehung handelt. Alles andere sind – in unsere Sprache übersetzt – eher Freundschaften des Nutzens oder Freizeitfreundschaften. Es sind also sogenannte Vitamin-B-Beziehungen, durch die wir einen Job oder eine Wohnung finden. Oder wir spielen gemeinsam Tennis oder gehen wandern. Doch wahre Freundschaften sind dies nicht. Davon sprechen wir nur, wenn es sich um einen intensiven Austausch handelt, wenn man so gut wie alles dem anderen anvertrauen kann. So unterschiedlich Freundschaften auch sein mögen: Letztlich leben Herzensfreundschaften von intensiven Gesprächen. Und gute Freundschaften sind vor allem in Krisenzeiten belastbar. Freunde sind Menschen, die unsere Sorgen auf ihrem Rücken tragen – heißt es deshalb in einem indianischen Sprichwort. Und Marlene Dietrich meinte einmal, gute Freunde könne man auch nachts um 3.00 Uhr anrufen.

Die Freundschaft mit sich selbst

Gute Freunde können zuhören, sie verstehen uns und sind verlässlich. Kurz gesagt: Sie verfügen über Sozialkompetenz. Aber wir dürfen nicht vergessen, dass die Basis unserer Freundschaftsfähigkeit vor allem auf einer guten Beziehung mit uns selbst beruht. Dann spüren wir unsere positiven Eigenschaften und haben auch einen Zugang zu unseren Leidenschaften und Ängsten. Das ist der eigentliche Resonanzboden für lebendige Freundschaften.
Wie wichtig diese Beziehung mit sich selbst ist, zeigt sich vor allem am Beginn von Freundschaften, weil es hier insbesondere auf ein gutes Selbstwertgefühl ankommt. Schließlich nehmen wir nur dann einen intensiven Kontakt zu anderen Menschen auf, wenn wir über ein stabiles Selbstwertgefühl verfügen. Dann kennt man nicht nur die eigenen positiven Eigenschaften, sondern geht freundschaftlich mit sich selbst um. Man kann dies auch als guten inneren Funkverkehr beschreiben, bei dem man sogar die eigenen Defizite, Versäumnisse und Fehler mit einer verständnisvollen, verzeihenden Einstellung bewertet. Auf diese Weise entstehen keine neurotischen Schamgefühle und die Selbstachtung bleibt intakt. So sind wir auch in der Lage, unbekümmert auf andere Menschen zuzugehen. Man hat gleichsam die grundsätzliche Überzeugung, eine Bereicherung für andere Menschen zu sein.

Zum Weiterlesen:

Wolfgang Krüger, Freundschaft: beginnen, verbessern, gestalten, BOD, 9,90 Euro

Den ganzen Artikel finden Sie in unserer Ausgabe bewusster leben 5/2020

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