Für viele Menschen ist die makrobiotische Küche eine fade Ernährungsweise, die nur aus Getreidekörnern und völlig zerkochter Nahrung besteht. Dass dem nicht so ist, erklärt uns Madhavi Guemoes. Sie sagt: „Die makrobiotische Ernährungsweise ist ein liebevoller Weg, sich der eigenen Mitte anzunähern.“
Der Begriff Makrobiotik entstand in der Antike und bezeichnet ganz allgemein eine Lebensweise, die zu einem gesunden, langen Leben führen soll. Die Grundannahme der Lehre ist die These, dass das Universum aus zwei unterschiedlichen Kräften besteht: dem Yin, der ausdehnenden Kraft und dem Yang, der zusammenziehenden Kraft. Dem Yin werden noch folgende Attribute zugeordnet: sauer, Kalium, Zucker und Früchte. Yang wird entsprechend zugeordnet: basisch, Natrium, Salz und Getreide. Nach der Theorie ist die Welt auf den Gegensätzen des Yin und Yang aufgebaut, die sich, so gegensätzlich sie sind, anziehen und ergänzen. Ein glückliches Leben ist deshalb nach der Philosophie nur möglich, wenn das Gleichgewicht zwischen Yin und Yang stimmt.
Im Prinzip sieht die makrobiotische Ernährungsweise als Basis Vollkorngetreide vor, das ganz, gequetscht oder zu Mehl verarbeitet gegessen werden soll. Dazu werden frisches Gemüse, Bohnen in verschiedenen Zubereitungsformen, Nüsse, Samen und geringe Mengen Obst verzehrt. Eine große Rolle in der Makrobiotik spielen auch fermentierte Sojaprodukte. Sie sind die Eiweißlieferanten in der Ernährung, da auf Fleisch (obwohl eigentlich Yang) verzichtet wird. Auch aus Algen hergestellte Produkte spielen eine wichtige Rolle. Generell vermieden werden Kartoffeln, Tomaten, Auberginen (zu viel Yin), Milch, Zucker, Konserven sowie Früchte und Gemüse, die mit Mineraldünger oder Insektenschutzmitteln behandelt worden sind. Auch Nahrung, die nicht aus der eigenen Lebensregion stammt oder nicht der Saison entspricht, wird abgelehnt. Von Madhavi Guemoes, einer Verfechterin der Makrobiotik und ihrer Prinzipien, wollten wir mehr über die bei uns nach wie vor recht unbekannte Ernährungsweise wissen:
Frau Guemoes, was ist für Sie das Wichtigste der makrobiotischen Ernährungslehre?
Die Idee, dass wir das Leben lebendiger, mit mehr innerer Weite und Größe erfahren können – einerseits durch die Ausrichtung auf die natürliche Ordnung, den Kosmos, andererseits mit Blick auf eine Ernährung, die dieser Ordnung entspringt. Dazu gehören Nahrungsmittel, die natürlich und im eigenen Klima gewachsen sind. Das wesentliche Verständnis der Makrobiotik beruht auf der aus China stammenden Philosophie Yin und Yang. Makrobiotik ist ein Weg, der uns wieder zurück zur Mitte führt – heraus aus den alltäglichen Extremen, aus Engstirnigkeit und der Hast. Makrobiotik ist auch ein Weg des Friedens. Durch die makrobiotische Philosophie lernen wir, wie wir durch einfache Prinzipien wieder ausgeglichener und mit einem friedvollen Geist leben können. Es ist kein Geheimnis, dass die Menschen heutzutage immer schlapper, müder, nahezu ausgebrannt und völlig verspannt durch das Leben stapfen und das einfach so hinnehmen und kaum hinterfragen. Ständige Erreichbarkeit, Überarbeitung, zu viel Kaffee aus unnützen Pappbechern, zu wenig Schlaf, Hektik und natürlich mangelnde Bewegung lassen uns zu Zombies werden. Mit der Makrobiotik streben wir wieder ein Leben in Gleichgewicht auf körperlicher und geistiger Ebene und der Nachhaltigkeit an. Das Schöne daran ist, dass jeder Einzelne seinen ganz eigenen Weg damit finden kann.
Wie kamen Sie selbst zur Makrobiotik?
Das war 1997 als ich gerade aus Paris nach Hamburg zurückgezogen bin. Ich hatte dort Meditation unterrichtet, was ziemlich frustrierend war, denn die Franzosen waren zu der Zeit keineswegs offen für Dinge dieser Art. Das hat sich zum Glück inzwischen ja geändert. Ein paar Tage später schlenderte ich auf dem Flohmarkt herum, weil ich ein paar Sachen für mein neues Zuhause brauchte. Dort fand ich ein kleines unscheinbares Buch über Makrobiotik und nahm es einfach mit. Es war ein sehr striktes Buch, die Übersetzungen aus dem Japanischen sind schon ziemlich hart in manchen makrobiotischen Büchern. Aber es gefiel mir und ich begann, mich tiefer mit der Materie auseinanderzusetzen. Die Beschäftigung mit der Makrobiotik war zuerst nicht einfach, machte mich zum Außenseiter. Ich ernährte mich zu der Zeit vegan, was schon der Gipfel des Unmöglichen war. Ich durchlebte viele verschiedene Phasen und bin froh, in einer ganz freien, lebensbejahenden Form der Makrobiotik angekommen zu sein, es ist immer eine Einstellungssache!
Welches ist der wichtigste Grundsatz der makrobiotischen Ernährungsweise?
In der Makrobiotik geht es darum, wieder Einklang mit uns und unserer Umwelt herzustellen, einer gewissen universellen Ordnung zu folgen. Es ist ein schöner, liebevoller Weg, sich wieder der eigenen Mitte anzunähern.
Ernährungslehren werden heute wie Religionen behandelt und die Anhänger zerfleischen sich gern untereinander. „Für mich ist Kochen eine spirituelle Praxis“, schreiben Sie in Ihrem Buch. Klingt das nicht auch ein bisschen nach Religion?
Spiritualität hat für mich keineswegs etwas mit Religion zu tun, sie ist universell. Spiritualität bedeutet für mich, mich auf mein Inneres zu besinnen, mir näherzukommen, in mir zu ruhen. Ein Mensch, der zufrieden und ausgeglichen ist, schafft mehr Frieden in der Welt als jemand, der nur meckert und Negativität versprüht.
Warum verzichten Makrobiotiker generell auf Fleisch?
Ich habe bisher noch keinen Makrobioten getroffen, der Fleisch konsumiert. Fleisch ist auch ein sehr extremes Nahrungsmittel, das nicht unbedingt die guten Eigenschaften in uns hervorruft. Von den ethischen Aspekten ganz zu schweigen. Manche essen Fisch.
Sie schreiben, dass uns Koffein auf Dauer nicht guttut. Welche Alternativen gibt es zum Tässchen Kaffee am Morgen oder Nachmittag für Sie?
Ich bevorzuge und genieße Yannoh Getreidekaffee oder auch Bancha-Tee mit Apfelsaft.
Nachtschattengewächse wie Kartoffeln, Tomaten, Paprika oder Aubergine lehnt die Makrobiotik ebenfalls ab.
Warum das denn?
Das ist aber kein Dogma. Wenn ich irgendwo eingeladen bin und es trohnt eine knallrote Tomate auf meinem Essen, wird es mich nicht umbringen, nach ihr zu greifen. In meinem Alltag werden die Prinzipien der Makrobiotik emsig eingefädelt, doch es darf auch Ausnahmen geben. Essen soll Freude machen und wenn man anfängt, komisch zu werden, sollte man seine Einstellung nochmal überdenken. Nachtschattengewächse haben eine hohe Empfindlichkeit und enthalten das Alkaloid Solanin. Sie sollen außerdem für verschiedene entzündliche und autoimmune Krankheiten im Körper verantwortlich sein.
Warum lehnen Sie auch tropische Früchte ab?
Generell lehne ich sie nicht ab, aber man sollte klug schauen, wann man tropische Früchte zu sich nimmt. Sie schwächen den Körper gerade in der Herbst- und Winterzeit. Nahrungsmittel, die extrem yin sind, kühlen den Körper arg aus und in der Winterzeit wollen wir ja eher unseren Körper nähren. Mache ich jedoch im Winter Urlaub in Spanien, dann passe ich mich aber der Klimazone an. Dann darf es auch ruhig mal eine Orange sein.
Und wie oft sollten wir tagsüber essen?
Ich halte überhaupt nichts davon, ständig Essen in sich hineinzustopfen. Der Körper braucht seine Zeit, das Gegessene auch zu verwerten. Wenn man ausgeglichen nach den Prinzipien der Makrobiotik isst, braucht man auch nicht so viel, man ist schneller und länger gesättigt. Ich esse zwei- bis dreimal Mal täglich und zuletzt gegen 18 Uhr. Die Mahlzeit am Mittag ist mein größtes Mahl.
Sie schreiben in Ihrem Buch: „Frage dich immer, bevor du dir etwas kochen möchtest, was dir in diesem Moment guttun würde.“ Was aber, wenn ich der Meinung bin, dass ich genau in dem Moment ein Schnitzel brauche?
Dann haben sie leider nicht weitergelesen, denn einen Satz später schreibe ich: „Es dauert eine gewisse Zeit, bis du spürst, was dein Körper tatsächlich benötigt.“ Ich bin kein Fundamentalist. Ich denke, es ist auch nicht klug, sich ständig etwas zu verbieten. Doch finde ich die Frage wichtig, ob es mir guttun würde, wenn ich das Schnitzel essen würde. Da sollte ich mich schon fragen: Was macht das Nahrungsmittel mit mir? Vom ethischen Aspekt ganz zu schweigen. Wir haben durch den Überfluss verlernt, zu spüren, was wir wirklich brauchen im Leben. Und genau das sollten wir wieder lernen.
Was raten Sie jemandem, der/die sich auf eine makrobiotische Weise ernähren will?
Es ist sehr wichtig, sachte zu beginnen, nicht alles übers Knie zu brechen. Wer sich einmal die Woche vornimmt, makrobiotisch zu essen, wird schnell merken, wie gut ihm das tut. Keiner soll sein Leben ab jetzt in der Küche verbringen und sich abschotten. Ich würde mich sehr freuen, wenn jeder mit Leichtigkeit beginnt und längerfristig dranbleibt.
Das Gespräch führte Winfried Hille
Zum Weiterlesen: Madhavi Guemoes, Makrobiotik, Aurum Verlag, €16,95
Den Artikel und einige makrobiotische Rezepte finden Sie in unserer Ausgabe bewusster leben 6/2017
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