Erfolgreich scheitern

Wenn das Leben plötzlich Schlagseite bekommt und die Wellen über einem zusammenbrechen, zeigt sich unsere wahre Stärke. Wir fühlen uns dann
wie auf einem sinkenden Schiff – doch an diesem Punkt beginnt Resilienz: die Kunst, das Ruder wieder selbst in die Hand zu nehmen, mutige Kurskorrekturen zu machen und auf ein neues Ziel zu steuern.

Niemand redet gern übers Scheitern. Lieber erzählen wir uns Erfolgsgeschichten, suchen nach Erfolgsrezepten und feilen an Erfolgsstrategien. Wir teilen auf Social Media unsere Hochzeiten, Schwangerschaften und Urlaube, aber nur die wenigsten trauen sich, über die Schattenseiten des Lebens zu sprechen: Krankheit, Scheidung, Verletzung, Zweifel, Insolvenz und wie diese Schreckgespenster alle heißen. Wenn wir sie vertuschen, berauben wir uns der Möglichkeit, gemeinsam aus Erfahrungen zu lernen.

Scheitern als Tabu

Und wird doch einmal über Niederlagen gesprochen, dann meist aus der Rückschau und von sehr erfolgreichen Menschen. Auf dem Gipfel des Erfolgs lässt sich auch der tiefste Fall als notwendige Etappe einer glorreichen Heldenreise verkaufen. Weil sie sich aus dem Tal hochgerappelt haben, erscheint der Sieg glanzvoller, als wären sie mit dem Hubschrauber eingeflogen. Doch solange wir selbst mitten in der Krise stecken, ist die Hoffnung auf künftige Höhenflüge ein schwacher Trost. Auf dem harten Boden der Realität unsanft gelandet, lecken wir gern unsere Wunden und wissen nicht weiter.

Wieder versuchen. Wieder scheitern. Besser scheitern.

Es gibt keine „Scheiter-Workshops“ an Schulen und Unis, keine Erste-Hilfe-Kurse im Scheitern oder eine reiche Auswahl an Schöner-Scheitern-Magazinen. Als die buddhistische Lehrerin Pema Chödron gebeten wurde, auf einer Universitäts-Abschlussfeier eine Rede zu halten, fragte sie sich, was sie jungen Menschen am Anfang ihres Berufslebens mit auf den Weg geben möchte. Sie entschied sich, über die hohe Kunst des Scheiterns zu sprechen und wählte für den Titel ein Zitat von Samuel Beckett: „Wieder versuchen. Wieder scheitern. Besser scheitern.“ Richtig zu scheitern, erklärte sie schließlich ihrem Auditorium, sei die sinnvollste Lektion, die es im Leben zu lernen gilt.

Scheitern als Schiffbruch

„Im allgemeinen Sprachgebrauch gilt: Jemand scheitert, wenn er einen angestrebten Zustand oder ein erwünschtes Ziel nicht erreicht und somit einen Misserfolg, einen Fehlschlag erleidet“, erklärt der Autor Hermann Wohlgschaft in seinem Buch „Scheitern“. In der Seefahrt bedeutet scheitern Schiffbruch erleiden. Ein wilder Sturm kommt auf, schleudert unser Boot an die felsige Küste und lässt es in tausend „Scheite“ zerbersten. Mit letzter Kraft schleppen wir uns an Land, während unsere an der Wirklichkeit zerschellten Vorstellungen und Träume steuerlos in den Wellen herumdümpeln.

Wie mit der Niederlage umgehen?

Wenn wir scheitern – wenn also die Dinge nicht so laufen, wie wir sie uns vorgestellt haben – bekommen wir unsere Verwundbarkeit roh und unvermittelt zu spüren. Vielleicht sind wir wütend, traurig, gelähmt oder beschämt. Um diesem unerträglichen Zustand zu entkommen, lenken wir dann die Aufmerksamkeit allzu gern weg vom unangenehmen Gefühl. Eine der gesellschaftlich anerkanntesten Methoden, diese Gefühle nicht fühlen zu müssen, ist, sich auf die Jagd nach den Schuldigen zu machen.

Wer ist schuld?

Wir können die Ursache unseres Scheiterns im Außen verorten. Geht die Beziehung in die Brüche, liegt es am narzisstischen Partner. Finden wir keinen Job, schieben wir die Verantwortung auf den Personalmanager oder gleich aufs ganze System. Wir können uns aber auch für die zweite Variante entscheiden und uns selbst die Schuld in die Schuhe schieben. Lieber lassen wir uns den ganzen Tag vom gnadenlosen inneren Kritiker beschimpfen, als uns für ein paar Minuten zu erlauben, das zu fühlen, was wir empfinden.
Veronika Schantz

Den ganzen Artikel finden Sie in unserer bewusster leben Ausgabe 4/2025

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