Und wie du dein Kind liebevoll durch die Veränderung begleitest. Ein Artikel von Familienberaterin Anne Bormann
Es ist Sonntag. Die Sonne scheint durchs Fenster. Du hältst deine Kaffeetasse fest umschlossen und spürst, wie angespannt dein Körper ist. Dein Kind sitzt neben dir am Tisch und malt ein Bild. Du nimmst den Kloß in deinem Hals wahr, Tränen steigen dir in die Augen. Es ist wieder einer dieser Tage, an denen du dich fragst, wie lange du das noch durchhältst. Ob dein Kind spürt, wie es dir wirklich geht. Ob du es ihm zumuten kannst – ob du gehen oder bleiben sollst. Für dein Kind. Für dich. Für euch.
Warum das Warten oft schwerer wiegt
Viele Eltern hoffen, dass eine Trennung leichter fällt, wenn die Kinder größer sind. Also wird gewartet. Jahr für Jahr. Doch Kinder spüren, dass etwas nicht stimmt. Sie nehmen jede noch so kleine atmosphärische Veränderung wahr. Wenn Eltern in bester Absicht versuchen, ihre Kinder von Konflikten fernzuhalten, führt das oft zu großen Missverständnissen. Denn Kinder – und selbst noch Jugendliche – sind entwicklungsbedingt egozentrisch, das bedeutet sie beziehen das Verhalten der Erwachsenen schnell auf sich selbst. Die schlechte Stimmung am Esstisch oder der Streit im Nebenzimmer – Kinder denken oft: „Ich war zu anstrengend. Ich bin schuld.“
Mein Tipp: Erkläre deinem Kind, was gerade los ist, z.B. : „Papa und ich haben gerade Streit. Das ist okay – manchmal sind wir verschiedener Meinung. Das hat nichts mit dir zu tun.“ Dein Kind kann die Situation einordnen – und bezieht sie nicht auf sich.
Was Kinder wirklich brauchen
Alle Menschen streben nach Sicherheit – sie ist ein essenzielles Grundbedürfnis. Bei einer Trennung der Eltern geht für Kinder zunächst viel Sicherheit verloren. Woran kannst du erkennen, dass es deinem Kind nicht gut geht?
Es gibt keine „typischen“ Trennungssymptome – jede Reaktion ist individuell. Je nach Alter äußert sich die Belastung der Trennung oft so:
• Kleinkinder werden anhänglicher oder wütender
• Grundschulkinder ziehen sich zurück oder machen sich Sorgen
• Jugendliche wirken abweisend, obwohl sie innerlich kämpfen.
Mein Tipp: Es hilft deinem Kind jetzt am meisten, wenn es sich gesehen und verstanden fühlt. Wenn all seine Gefühle Raum haben dürfen – ohne Bewertung. Nimm dir Zeit für alle Fragen. Du darfst auch sagen, dass du die Antwort selbst noch nicht kennst – das schafft Orientierung und Sicherheit.
Wenn dich deine eigenen Gefühle überrollen
Trennung ist eine Krise – auch für dich. Trauer, Angst, Wut, Erschöpfung, Ohnmacht: All diese Gefühle dürfen da sein. Und ja, sie dürfen auch sichtbar werden. Du musst nicht immer stark sein. Es ist okay, wenn dich deine eigenen Emotionen überwältigen. Wichtig ist nur, dass dein Kind weiß: Es ist nicht verantwortlich dafür.
Mein Tipp: Sprich aus was du fühlst: „Ich bin gerade traurig oder überfordert. Das hat nichts mit dir zu tun. Ich bin für dich da.“ So lernt dein Kind, dass Gefühle dazugehören – und dass es nicht für dein Wohlbefinden verantwortlich ist.
Und: Hol dir Hilfe. Du musst das nicht allein schaffen. Beratung, Austausch mit anderen, Unterstützung im Alltag – all das ist erlaubt. Und wichtig. Du befindest dich gerade in dieser Situation? Alles zu meinem Beratungsangebot findest du unter: www.annebormann.de
Trennung als Chance – auch für dein Kind
Wenn Kinder liebevoll durch die Zeit der Trennung begleitet werden, können sie innerlich an ihr wachsen. Sie entwickeln Resilienz – die Fähigkeit, mit schwierigen Gefühlen umzugehen und gestärkt aus Herausforderungen hervorzutreten. Sie lernen, dass Veränderung zum Leben gehört. Und sie erleben: Ich darf traurig sein, vermissen, wütend sein – und werde trotzdem geliebt.
Viele Eltern berichten, dass die Beziehung zu ihrem Kind nach der Trennung intensiver geworden ist. Ehrlicher, da viele echte Gespräche entstehen. Neue Rituale finden ihren Platz. Nähe wächst an Stellen, an denen vorher Spannungen waren.
Trennung kann für dein Kind die Erfahrung sein:
• Die Liebe zu mir bleibt – auch wenn sich das Familienmodell wandelt.
• Alle Gefühle sind okay.
• Ich darf im Leben Entscheidungen für mich treffen und aus Beziehungen gehen, die mir nicht guttun.
Du kannst deinem Kind zeigen, dass auch schwere Zeiten zu bewältigen sind. Und dass Familie mehr ist als eine bestimmte Wohnform – Familie ist Verbindung.
Und du? Warum auch du wachsen darfst
Eine Trennung bringt nicht nur Schmerz, sondern auch Bewegung. Die Möglichkeit, dich selbst neu kennenzulernen. Grenzen zu setzen. Klarer zu werden. Zu entdecken: Wer bin ich, wenn ich nicht mehr „Partner:in von“ bin?
Viele Eltern erleben nach der Trennung eine neue Form der Selbstwirksamkeit. Sie treffen Entscheidungen, die sich endlich nach ihnen selbst anfühlen. Sie entdecken neue Hobbys. Neue Kontakte. Neue Routinen. Und oft auch eine neue Nähe zu ihren Kindern – weil Raum entsteht, der vorher von innerem oder äußerem Konflikt gefüllt war. Was dein Kind von dir lernen kann, ist nicht Perfektion. Sondern wie man mit Krisen umgeht. Wie man Verantwortung übernimmt. Und wie man aus schweren Zeiten neue Stärke zieht.
Wenn du noch unsicher bist – Reflexionsfragen für deinen Weg
Vielleicht liest du diesen Artikel und denkst: Ja, irgendwie trifft das alles auf mich zu. Und trotzdem weiß ich nicht, was richtig ist. Das ist okay. Trennung ist keine Entscheidung, die man leichtfertig trifft – erst recht nicht mit Kind. Diese Fragen können dir helfen, einen Schritt näher an deine Wahrheit zu kommen:
- Was versuche ich für mein Kind aufrechtzuerhalten – und was fühlt sich für mich schon lange nicht mehr stimmig an?
- Was spürt mein Kind vermutlich längst – auch wenn ich nicht darüber spreche?
- Was würde ich meinem Kind wünschen, wenn es einmal in einer ähnlichen Situation steckt wie ich gerade?
- Wovor habe ich am meisten Angst – und was könnte mir helfen, damit umzugehen?
- Was darf ich loslassen? Und was möchte ich neu gestalten – für mich, für mein Kind, für unser Miteinander?
Du musst nicht heute entscheiden. Aber du darfst beginnen, ehrlich hinzuschauen. Und: Du darfst dir Unterstützung holen – genau dann, wenn du bereit dafür bist.

Anne Bormann ist bindungsorientierte Familienberaterin, psychologische Beraterin und selbst alleinerziehende Mama von drei Jungs. Sie begleitet Eltern nach einer Trennung oder in der Trennungsüberlegung mit dem Blick auf das, was Kinder wirklich brauchen: Sicherheit, Verbindung und ehrliche Kommunikation.
Anne arbeitet online im 1:1-Setting – praxisnah, empathisch und auf Augenhöhe. Im Podcast „breakup & shakeup – Dein Trennungspodcast“ sowie im Interview im MDR Podcast „Tabubruch“ spricht sie offen über das Leben mit Kindern nach der Trennung.
Mehr über ihre Angebote findest du unter www.annebormann.de und auf Instagram: @annebormann.beratung


