Unsere Autorin Andrea C. Bayer liebt den Winter. Mit ihrer Leidenschaft für starke Kontraste und frostige Temperaturen bringt sie uns etwas vom winterlichen Charme der kanadischen Prärieprovinz Manitoba in die warme Stube.
Das Thermometer zeigt minus 40 Grad an. Die Luft ist klar, der Himmel pastellfarben. Unter meinen Füßen knirscht der harsche Schnee. Der Wind hat ihn fest werden lassen über Nacht. Ich gehe meine Morgenrunde auf dem Clear Lake. Der See macht seinem Namen alle Ehre: Aufgrund seines geringen Nährstoffgehalts ist er ungewöhnlich klar. Im Winter ist er dick gefroren. Wir haben Februar. Es ist 8.02 Uhr morgens. In neun Minuten wird die Sonne mit all ihrer Kraft hinter den paar Häusern des Ortes Wasagaming emporsteigen und ich werde mich in die schützende Wärme des Lakehouse Restaurants zurückziehen. Mit roten Wangen, strahlenden Augen und einer Kamera-Speicherkarte voller sanfter Eindrücke.
Frostig-weiße Wimpern
Drinnen schmilzt mein „Manitoba-Mascara“ so schnell wie meine Hände am heißen Kaffeebecher auftauen. Den Begriff Manitoba-Mascara habe ich vor wenigen Tagen gelernt. Er beschreibt die frostig-weißen Augenbrauen, Wimpern und Bärte, die wir bei diesen Temperatur- und Wetterverhältnissen in Nullkommanix bekommen. Gelernt habe ich ebenfalls, dass sich die Kanadier bei ihren kurzen Kaffee- und Mittagsstopps in Cafés und Restaurants gar nicht erst die Mühe machen, sich aus Mützen und Winterhosen zu schälen. Ich tues ihnen bereits gleich. Das Ein- und Auspacken dauert viel zu lange. Und bis die Wärme durch alle sechs Kleidungsschichten durchgedrungen ist, ist es ohnehin schon wieder an der Zeit, nach draußen zu gehen.
Dunkle Nächte und heimelige Hütten
Der Rhythmus im kanadischen Winter ist ein anderer als in Mitteleuropa. Die Nächte im Riding Mountain National Park sind dunkel und zugleich auch wieder nicht: Der Schnee reflektiert hell, die Sterne zieren den Nachthimmel, der so klar ist wie der Clear Lake. Ich genieße die Stille und das Aufwachen in meiner kleinen Turtle Shell. „Die Hütten heißen Turtle Shells, weil sie in ihrer Funktion so sind wie der Panzer einer Schildkröte“, so die Betreiberin Ashley Smith über die Funktion der Turtle Shells. Die Cabins sind Rückzugsorte; sie schützen vor Wind, Wetter und wilden Tieren. Und sie fügen sich ohne großen Wartungsaufwand und minimalistisch in die Natur des Riding Mountain National Parks ein. Das Turtle Village liegt etwa zwanzig Gehminuten vom Zentrum des Ortes Wasagaming entfernt. Mitten im Wald und mit der Infrastruktur eines Campingplatzes. Acht kleine, autarke Cabins stehen hier den Gästen jahrein, jahraus zur Verfügung. Mit einem riesigen Bett, dicken Decken, einer klappbaren Tisch-Bank-Lösung aus Holz und – im Winter ganz wichtig – einem gasbetriebenen Ofen. Zugegeben: Es ist um diese Jahreszeit hier draußen beschwerlicher als im Sommer. Doch dafür fühlt es sich ganz besonders an. Ungewohnt und heimelig.
Das erste Mal, dass ich fische
Der heutige Nationalpark ist das traditionelle Zuhause indigener Völker. Im Treaty 2-Gebiet leben überwiegend Anishinaabe. Ashley ist eine von ihnen. Zusammen mit ihrer Familie möchte sie mit ihren touristischen Angeboten die tief verwurzelte indigene Kultur sichtbar machen, bewahren und vermitteln. Dabei geht es darum, im echten Einklang mit der Natur zu leben, mit Respekt und Verantwortung gegenüber unserem Lebensraum, uns selbst und künftigen Generationen. Mich interessiert und überzeugt das alles so sehr, dass ich mich mit Ashley, ihrem Mann Jason und den Kindern Jaylee, Keeson and DawnJae sogar ans Eisangeln wage. Es ist für mich das erste Mal, dass ich fische. In einem weißen Zelt mitten auf dem See, das den eisigen Wind abhält. Mit der Angel in meiner Hand, die ich stetig auf und ab bewege, über einem Loch im Eis, das wir immer wieder von schnell gefrierenden Eisbrocken befreien müssen. Barsch, Hecht, Felchen und Zander: Der See ist fischreich und ich bin recht froh, dass ich mich um mehr als ein einmaliges forsches Zupfen am unteren Ende meiner Angelschnur nicht kümmern muss.
Andrea C. Bayer
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