Die Sprache der Intuition

So wie unser Denken die Sprache des Verstandes ist, ist die Intuition die Sprache unserer Seele.

Unter Intuition versteht man die Fähigkeit gewisser Leute, eine Lage in Sekundenschnelle falsch zu beurteilen“, frotzelte einst der Schriftsteller Friedrich Dürrenmatt. Wie falsch er mit dieser Beurteilung lag, weiß jeder, der sich im Alltag zuverlässig von seinem Bauch führen lässt. Für alle Skeptiker: Zahlreiche wissenschaftliche Untersuchungen konnten inzwischen eindeutig belegen, dass die Intuition in vielen Situationen besser und schneller entscheidet, als der rationale Verstand. Um es in den Worten des Heidelberger Intuitionsforschers Henning Plessner auszudrücken: „Die Intuition arbeitet messerscharf, der Verstand ist schwach.“ Aber was ist Intuition eigentlich? Und wie erkenne ich sie? Warum scheint sie manchmal reibungslos zu funktionieren, in anderen Situationen total daneben zu liegen und in dritten sich einfach auszuschweigen?

Was ist eigentlich Intuition?

Beginnen wir mit einer Begriffsklärung: Intuition ist das, was auch als Bauchgefühl oder Bauchintelligenz bezeichnet wird. Sie wird so genannt, da sie sich im Bauch zeigt, meistens im Solarplexusbereich, oberhalb des Bauchnabels. Oft wird der Begriff schwammig verwendet und bezeichnet andere, nicht rationale Formen des Denkens, wie Eingebungen oder die Intelligenz des Herzens. Diese beiden Instanzen haben jedoch andere Funktionen als die Intuition, deren Hauptaufgabe die Entscheidungsfindung auf der Basis von Erfahrungswissen ist.

Ja oder Nein?

Wer kennt das nicht? Wir können uns stunden- oder sogar tagelang den Kopf über etwas zerbrechen, es tausend Mal hin- und herwälzen, für alles Gründe und Gegenargumente finden: rein rationale Entscheidungsfindung funktio-niert nicht. Auch das hat übrigens inzwischen die Gehirnforschung belegt: Menschen, die nicht fühlen können, sind nicht entscheidungsfähig.
Die Intuition kann hingegen sehr gut darin sein, Entscheidungen zu treffen. Innerhalb von Sekundenbruchteilen kommt ein klares Ja oder ein eben Nein, oft noch bevor wir überhaupt darüber nachdenken konnten.
Irritierenderweise liefert die Intuition jedoch keine Begründung für ihre Einschätzung. Genau das ärgert den Verstand jedoch maßlos. Er möchte, dass die Intuition begründet, warum sie Ja oder Nein sagt. Der Verstand ist wie die Mathelehrerin, die uns schon in der Schule so geplagt hat, weil sie sich weigerte, ein korrektes Ergebnis ohne Rechenweg anzuerkennen. Leider zieht der Verstand hier unweigerlich den Kürzeren: es gehört zum Wesen der Intuition, keine Begründung zu liefern. Und dafür wiederum, hat sie durchaus gute Gründe.

Wie entscheidet unsere Intuition?

Die Intuitionsforschung geht davon aus, dass Intuition das Ergebnis sehr komplexer Rechenvorgänge ist – so komplex, dass unser rationaler Verstand davon heillos überfordert wäre. Wenn die analytische Funktion des Verstandes mit einem Taschenrechner vergleichbar ist, dann ist die Bauchintelligenz eher wie ein Computer. Ein Taschenrechner kann immer nur mit sehr begrenzten Datenmengen umgehen. Ein Computer hingegen, hat eine ungleich größere Rechenleistung. Intuition, so die Annahme der Forscher, arbeitet im Verborgenen, um uns vor den riesigen Datenmengen zu schützen, die in eine Entscheidung mit einfließen. Konkret bedeutet das, dass Intuition auf unserem Erfahrungswissen basiert. Sie gleicht alle Informationen, die wir unterbewusst abgespeichert haben, mit der aktuellen Situation ab. Das erklärt auch, weshalb Intuition vor allem in Bereichen ausgezeichnet funktioniert, in denen wir über ausreichend Erfahrung und entsprechend viele Daten verfügen. So gesehen ist es Quatsch, von sich zu behaupten, man habe eine gute Intuition.
Vivian Dittmar

Vivian Dittmar ist eine anerkannte Expertin für das Thema emotionale Intelligenz, Gründerin der Be the Change-Stiftung für kulturellen Wandel. Durch ihre Bücher, Vorträge, Seminare und Online­angebote engagiert sie sich seit zwei Jahrzehnten für eine holistische Entwicklung von Mensch, Gesellschaft, Wirtschaft und Bewusstsein. Bisher von Vivian Dittmar erschienen: „Das innere Navi – Wie du mit den fünf Disziplinen des Denkens Klarheit findest“ (edition est) und „Echter Wohlstand“ (Kailash Verlag).

Den ganzen Beitrag finden Sie in unserem bewusster leben Sonderheft Achtsam Sein 8/2021

Diesen Artikel teilen

Weitere Beiträge

Eintauchen in die innere Stille

Auf die Stille zu hören, wo immer du bist, ist ein leichter und direkter Weg, um in die Gegenwärtigkeit zu kommen.

Diesen Artikel teilen

Farben als Spiegel der Seele

Axel Buether zeigt, wie unsere Farbwahl unsere Persönlichkeit, Stimmung und Lebensgestaltung prägt. Finde im Selbsttest heraus: Welche Farbe passt zu mir?

Diesen Artikel teilen

Vertrauen: Das Leuchtfeuer in
unseren Herzen

Nur wenn wir uns etwas zutrauen, wenn wir die Ohren nach innen richten, dem lauschen, was uns vielleicht ängstigt, weil es Ungewöhnliches verkündet, uns zu neuen Ufern ruft, festigen wir unser Vertrauen. Wie schnell huschen uns aufmunternde Worte über die Lippen, wenn wir versuchen, einen uns nahestehenden Menschen aufzubauen. Wir sagen ihm dann: „Vertraue dir doch!“ Vielleicht spüren wir, dass unsere Aufmunterung zwar dankbar aufgenommen wird, doch zugleich durch ein unsichtbares Sieb hindurchsickert. Wir können als Außenstehende so viel an Zuversicht nachschenken, es scheint beim anderen stets zu versiegen. Der Motor des Selbstvertrauens, des Vertrauens in das Leben will bei ihm einfach nicht anspringen. Diese Hilflosigkeit ist nicht schön und hinterlässt bei uns die Sorge, den Draht zu der Person zu verlieren. Ich habe das schon öfters so erlebt und immer hat es mir keine Ruhe gelassen. Ich wollte weder einen Menschen, der mir ans Herz gewachsen ist, unter diesen Umständen sich selbst überlassen, noch wollte ich mich unfähig fühlen, ihn zu seinem nährenden Vertrauen zurückzubringen. Als Helfer/in geht man meistens davon aus, dass man es selbst besser weiß, dass es einem zumindest gerade besser geht, als demjenigen, dem man seine Unterstützung anbietet. Ungern erinnere ich mich an Situationen, in

Diesen Artikel teilen

Schreiben Sie einen Kommentar