Zurückhaltend, feinfühlig und zart – jahrelang glaubt unsere Autorin, dass diese Worte sie tatsächlich beschreiben. Doch es ist etwas anderes, was in ihr verborgen liegt und das sie nun endlich findet. Heute weiß sie, dass ihre Sensibilität eine große Stärke ist.
Irgendwie hatte ich schon immer das Gefühl, anders zu sein. Als ob ich aus einem anderen Material gemacht wäre: nicht robust und stabil, sondern zerbrechlich und zart. Was andere kaum bemerken, wirft mich schon aus der Bahn. Was für andere ein genüsslicher Stadtbummel ist, ist für mich ein mühsamer Kampf durch eine Flut an Reizen, Eindrücken und Geräuschen. Nach einer Mittagspause in der überfüllten Kantine habe ich meist Kopfschmerzen und das, was für andere eine Pause war, war für mich anstrengender als der ganze restliche Tag. Während andere mit einer mühelosen Selbstverständlichkeit durchs Leben gehen, gehe ich, als hätte ich Sand im Getriebe.
Eine Knospe, die aufblühen will
Oft frage ich mich, was ich falsch mache. Warum ist für mich alles anstrengender und schwieriger? Warum bin ich immer erschöpft, ohne wirklich einen Grund zu haben? Warum kämpfe ich die ganze Zeit, obwohl es nichts gibt, wogegen ich kämpfen müsste? Doch das, was mich am traurigsten macht, ist eigentlich etwas anderes. Es ist nicht, dass mein Leben so klein und eng ist. Es ist, dass es groß und weit sein könnte. Denn ich spüre, dass eigentlich viel mehr in mir steckt. Eine Knospe, die aufblühen will. Ein Potenzial, das nach Entfaltung strebt. Dahinter die Gewissheit: Ich könnte so viel mehr – wenn ich es eben nur könnte.
Feine Sinne – starke Seele
Hochsensible Menschen nehmen mehr Reize aus ihrer Umwelt wahr, verarbeiten sie intensiver und reagieren mit stärkeren Gefühlen darauf. Weil das Leben für sie in unserer schnelllebigen und lauten Welt anstrengend ist, wird Hochsensibilität fälschlicherweise als mangelnde Belastbarkeit oder übertriebene Empfindsamkeit wahrgenommen und Hochsensible fühlen sich selbst oft anders und falsch. Doch das ist eine einseitige Betrachtung. In ihrem Buch „Feine Sinne – starke Seele“ bietet Miriam Sompek eine alternative Sichtweise auf das Thema Hochsensibilität. Sie schreibt: „Was, wenn ich dir sage, dass du in Wahrheit über eine Superkraft verfügst, die du nur noch nicht vollständig erkannt hast? Eine Gabe, die es dir ermöglicht, die Welt auf eine Art und Weise zu erleben, die anderen verborgen bleibt. Stell dir vor, tief in dir schlummert etwas Magisches, eine besondere Kraft, ein ganz spezielles Leuchten, das nur darauf wartet, von dir erweckt zu werden.“ Diese Perspektive macht Mut. Denn Hochsensibilität ist keine Schwäche – in Wahrheit ist sie ein Geschenk.
Eigenschaften hochsensibler Menschen
Miriam Sompek geht davon aus, dass bei hochsensiblen Menschen vier Charaktereigenschaften häufig besonders stark ausgeprägt sind: die Sinneswahrnehmung, Empathie, Begabung und Intuition. Diese Eigenschaften zeigen sich in unterschiedlichen Ausprägungen und Intensitäten und ergeben so in jeder hochsensiblen Person ein ganz individuelles und einzigartiges Bild.
Ausgeprägte Empathie
Oft haben Hochsensible ein feines Gespür für Stimmungen und subtile zwischenmenschliche Dynamiken und sind wie ein Seismograph für die Gefühle von anderen. Sie spüren unausgesprochene Erwartungen und neigen deshalb dazu, sich anderen anzupassen – etwa so, wie ein Chamäleon, das die Farbe seiner Umgebung annimmt. Doch dadurch verlieren sie oft ihre eigenen Bedürfnisse aus den Augen und wissen manchmal gar nicht mehr, was ihre eigene Farbe ist. Daher ist es wichtig, die Selbstwahrnehmung zu stärken und eigene von äußeren Empfindungen abzugrenzen. Sompek weiß: Empathie ist zwar „ein Geschenk, eine ganz besondere Kraft, aber sie bedeutet nicht, dass du die Lasten anderer auf deinen Schultern tragen musst.“ Sie rät: Kehre in regelmäßigen Momenten der Stille zu dir selbst zurück, wende deine Fühler bewusst nach innen und konzentriere dich auf deine eigenen Gedanken, Gefühle und Bedürfnisse. Und übe dich darin, Nein zu sagen, denn ein Nein zu jemand anderem ist gleichzeitig ein Ja zu dir selbst: „Jedes Mal, wenn du Nein sagst, bestätigst du dir selbst, dass du deine eigenen Bedürfnisse ernst nimmst und respektierst. Dies stärkt nicht nur deine Selbstachtung, sondern lehrt auch dein Umfeld, deine Grenzen zu respektieren“.
Feine Sinneswahrnehmung
Wir alle haben eine Art Filter, durch den wir die Umwelt wahrnehmen – und das ist auch gut so. Unser System wäre völlig überlastet, wenn es immer alle verfügbaren Informationen und Reize aus der Umwelt aufnehmen und verarbeiten würde. Bei hochsensiblen Menschen ist dieser Filter aber durchlässiger, weshalb mehr Reize in ihr System gelangen. Daher kommt es auch, dass Hochsensible ganz alltägliche Situationen wie einen Bummel durch die Stadt oder ein Essen in einem Restaurant als anstrengend empfinden. Miriam Sompek empfiehlt einen hilfreichen Trick für Hochsensible: Konzentriere dich in Situationen der Reizüberflutung nur auf einen Sinneskanal, zum Beispiel auf den Gehörsinn, wodurch die anderen Sinneswahrnehmungen in den Hintergrund rücken. Und vergiss trotz der Herausforderungen nicht, dass deine feine Sinneswahrnehmung eine besondere Gabe ist: „Sie ermöglicht es dir, die Welt in all ihren Farben und Nuancen zu erleben und Dinge wahrzunehmen, die anderen verborgen bleiben.“
Jacqueline Fischer
Den ganzen Artikel finden Sie in unserer bewusster leben Ausgabe 3/2025
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