Small is beautiful

Das Leben ist nicht perfekt. Die Liebe schon gar nicht. Oskar Holzberg plädiert deshalb für ein Umdenken hin zu einer „kleinen Liebe“. Beziehungen brauchen Mühe, Einsatz und die Bereitschaft, uns immer wieder neu einzulassen

Wir versuchen ständig, das Beste aus uns zu machen. Und auch in unseren Liebesbeziehungen steigen die Erwartungen an die eine große Liebe. Verstärkt durch die Möglichkeiten der digitalen Medien neigen wir dazu, Beziehungen schnell auszutauschen und immer wieder neue aufzunehmen. So befinden wir uns in einem ständigen Spagat zwischen den eigenen, gestiegenen Ansprüchen und der uns innewohnenden Sehnsucht nach einer dauerhaften Verbindung.
Der Paartherapeut Oskar Holzberg räumt nun in seinem Buch „Liebe braucht Liebe“ mit einigen wenig hilfreichen Mythen auf. Besonders mit dem romantischen Liebesideal der großen Liebe, der er eine von unerfüllbaren Illusionen befreite „kleine Liebe“ entgegensetzt. Er plädiert für weniger romantische Verklärung und mehr Bereitschaft zur Auseinandersetzung im Paar, mit uns selbst und unseren Liebesvorstellungen. Wir sprechen mit Oskar Holzberg über das, was eine Liebe nachhaltig macht.

Herr Holzberg, die Scheidungsrate in Deutschland nimmt zwar seit 2012 kontinuierlich ab, zugleich wird ein Viertel aller Ehen geschieden, obwohl sich die Paare ganz zufrieden fühlten. Wie erklären Sie sich diese Entwicklung?
Die Scheidungsrate sagt heute nicht mehr viel aus. Denn viele feste Liebesbindungen werden nicht mehr mit einer Heirat verbunden. Die meisten Trennungen finden sicherlich in den jüngeren Jahren der Menschen, in der Phase der seriellen Monogamie statt. Dort werden Erfahrungen gemacht, aber wir suchen dabei auch schon immer nach dem passenderen, dem besseren Partner. Und geraten dabei unter den Optimierungsgedanken. Wir suchen stets nach dem Besseren, uns Genehmeren, uns vielleicht noch mehr Befriedigenden. Das ist Konsumkultur. Wir kaufen uns eine neue Hose, nicht weil die alte völlig verschlissen ist, sondern weil wir davon ausgehen, dass wir uns in der neuen besser fühlen werden und besser aussehen werden. Und so verhalten wir uns auch auf dem Partnermarkt.

Oskar Holzberg ist niedergelassener Psychotherapeut in Hamburg, Dozent, Supervisor und Buchautor. Er schreibt seit über 10 Jahren eine erfolgreiche vierzehntägige Paarkolumne für BRIGITTE und zählt zu den bekanntesten Paar- und Sexualtherapeuten Deutschlands. Er ist „unfassbare 40 Jahre“ mit seiner Frau verheiratet und hilft in seiner Praxis Klienten und Paaren aus den Fallstricken ihrer Beziehungen.

In Ihrem Buch „Liebe braucht Liebe“ sprechen Sie von der großen und der kleinen Liebe. Was meinen Sie damit?
Die große Liebe ist ja das Ideal, das wir alle suchen und das wir auch finden. Oder in den meisten Fällen wenigstens für einige Zeit erleben. Dummerweise wird das intensive Liebesgefühl durch die Idee der großen Liebe mit einer Reihe sehr romantischer und wenig lebenspraktischer Vorstellungen verknüpft. Es erweckt hohe Erwartungen, die sich realistisch nicht erfüllen. Und stellt Anforderungen an die Partner, die sie unmöglich erfüllen können. Die große Liebe ist eine idealistische, unreflektierte Vorstellung. Vergleichbar mit unserer Ideologie des unendlichen Wachstums. Beides führt uns in die Irre und ist letztlich destruktiv, zerstörerisch. Die große Liebe ist nur eine Idee, aber sagt uns nicht, wie wir sie leben können. Die kleine Liebe betrachte ich als Gegenmodell dazu. Eine realistische Vorstellung von Liebe. In der auch die dunklen Seiten und das ständige Scheitern ihren Platz finden. Ein Liebeskonzept, das uns nicht heillos überfordert, sondern uns Möglichkeiten eröffnet. Und so auch in der Liebe zu mehr Nachhaltigkeit führen kann. Die kleine Liebe ist emanzipativ. Wir können handeln und befreien uns von dem Diktat der großen Liebe. Die große Liebe ist wundervoll, aber macht uns auch unglaublich unglücklich, weil sie ein historisch bedingter, völlig unrealistischer Anspruch ist.


Ein weiterer Aspekt in Ihrem Buch ist die Sehnsucht nach einer dauerhaften Bindung. Woher kommt diese Sehnsucht?
Wir sind Bindungswesen. Wir überleben nicht allein. Wir suchen unseren sicheren Platz in der Welt. Was nicht bedeutet, dass wir nicht auch Abenteuer suchen und allein auf Sicherheit bedachte Schnarchnasen sind. Aber ob verinnerlicht und symbolisch oder ganz real, wir leben immer in Beziehungen, in Beziehungen zu uns wichtigen Anderen. Das ist unser Platz in der Welt. Mit Glück finden wir ihn zunächst mit unseren Eltern oder Betreuungspersonen. Und später mit unseren Wahlverwandten, unseren Freunden und Bekannten und eben besonders mit unserem Liebespartner. Ob wir zunehmend andere, polyamouröse oder mehr gemeinschaftliche Modelle für unser Grundbedürfnis nach Bindung finden können, ist für mich offen. Gegenüber anderen Kulturen ist bei uns der Einfluss der Familie, damit aber auch der sichere Platz in der Familie geschwächt. Wir unterstehen nicht mehr dem Familienoberhaupt und folgen nur noch wenigen familiären Regeln. Eine Freiheit, die uns aber wieder nach Bindung suchen lässt. Die Möglichkeit dazu finden wir in unserer Liebesbeziehung. Das ist die Sehnsucht nach einer dauerhaften Bindung. Außerdem ist unsere Psyche konservativ. Veränderungen, und gerade speziell so umwälzende wie eine neue Lebensgefährtin, kosten viel Kraft. Selbst der Schlager weiß, dass eine neue Liebe wie ein neues Leben ist.

Wir leben in einer Gesellschaft, in der Menschen ihre Fähigkeiten einsetzen, um zu bestehen, sowohl im Beruf als auch privat. Was bedeutet das für eine Paarbeziehung?
Sich mit seinen Möglichkeiten einzusetzen, ist, was eine Liebesbeziehung braucht. Aber wir müssen für eine längerfristige Bindung auch neue Fähigkeiten entwickeln. Ich versuche die Gebiete darzustellen, in denen wir uns dann bewegen. Denn die Frage ist ja, wofür wir unsere Möglichkeiten einsetzen, worum wir uns bemühen, wofür wir uns engagieren in der Paarbeziehung. Und da sind wir wieder bei der großen Liebe und der kleinen Liebe.

Buchtipp: Oskar Holzberg, Liebe braucht Liebe, Kailash Verlag, 20 Euro

Den ganzen Artikel finden Sie in unserer bewusster leben Ausgabe 1/2024

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