Verstehen und verstanden werden

Freundschaft ist keine Selbstverständlichkeit, sondern ein kostbares Geschenk. Es erfordert Aufmerksamkeit, Offenheit und Mut, sich zu zeigen – und schenkt uns etwas Unbezahlbares: das Gefühl, verbunden zu sein.

Neulich hatten eine Freundin und ich auf halbem Weg zu einer Veranstaltung eine Reifenpanne. Da standen wir also mitten in der Pampa, mit Reserverad, ohne Wagenheber, und überlegten, wie wir unser Ziel noch rechtzeitig erreichen könnten. Die Freundin rief eine andere Freundin an, die schon dort war, und sofort versprach, uns abzuholen. Ich fragte meinen Mann, ob er sich um den Reifen kümmert. Als wir nach der Veranstaltung nach Hause kamen, stand das Auto schon wieder in der Garage. Mein Mann und sein helfender Freund wuschen sich gerade die vom Reifenwechsel schmutzigen Hände. Dank der selbstlosen Unterstützung meiner Freunde verwandelte sich eine lästige Reifenpanne in die wunderbare Erfahrung, im Notfall nicht alleine zu sein.

Freunde für den Notfall

Menschen sind soziale Wesen und auf freundschaftliche Kontakte angewiesen. Zahlreiche Studien haben deren positive Auswirkungen untersucht und liefern erstaunliche Ergebnisse: Freundschaft schützt vor ungesunder Einsamkeit, denn Kontaktarmut erhöht den Stresslevel und Blutdruck, verursacht Herzkreislauf-Probleme und Depressionen und wirkt sich negativ auf die Schlafqualität aus. Teilen wir Freud und Leid, sind wir weniger herzinfarktgefährdet und genießen erfreuliche Momente bewusster. Wer sich regelmäßig zweimal die Woche mit Freunden trifft, hat ein höheres Glücks- und Selbstwertgefühl. Gemeinsame Aktivitäten und Gespräche steigern die kognitive Gesundheit. Außerdem aktivieren freundschaftliche Kontakte Immunsystem und Selbstheilungskräfte.
Kurz zusammengefasst: Wer Freundinnen und Freunde hat, lebt zufriedener und länger. Freundschaften sind für die Gesundheit ähnlich effektiv wie nicht zu rauchen und spielen für die Lebenserwartung eine größere Rolle als sportliche Betätigung oder das Körpergewicht.

Freundschaft schützt vor Einsamkeit

„Freunde sind eine gute Versicherung für ein langes Leben“, schreibt beispielsweise eine Sparkassen-Versicherung auf ihrem Blog und empfiehlt in schönster Finanzsprache, rechtzeitig in gute Freunde zu investieren. Wer im Alter nicht einsam, krank und dement werden will, sollte zeitnah solide Freundschaftsnetze knüpfen und zusätzlich eine private Altersvorsorge abschließen.

Doch wenn wir Freundschaft nur durch die Kosten-Nutzen-Brille betrachten, verkennen wir ihr wahres Wesen. Freundesbande sind kein Mittel zum Zweck. Die meisten Menschen scheinen sich dieser Tatsache theoretisch bewusst zu sein. Auf die Frage, was im Leben wichtig sei, antworteten knapp 85 Prozent mit: „Gute Freunde und enge Beziehungen haben“. Weder Gesundheit noch Partnerschaft erreichen höhere Werte. Nun könnte man daraus schließen, dass Freundschaften im Alltag eine wichtige Rolle spielen. Doch weit gefehlt! Quantität und Qualität unserer sozialen Beziehungen nehmen beständig ab. Wie erklärt sich diese Diskrepanz?

Laut Freizeit-Monitor 2025 gaben nur noch 20 Prozent der Befragten an, sich wöchentlich mit Freunden zu Hause zu treffen. Im Jahr 2010 waren es immerhin noch 24 Prozent. Auch gemeinsame Unternehmungen und Einladungen gingen zurück. Während vor 15 Jahren noch knapp die Hälfte regelmäßig mit der Nachbarin plauderte, ist es heute nur noch ein Drittel. Ebenfalls sinkende Werte verzeichnen organisierte und öffentliche Formen der Geselligkeit, wie Clubbesuche, Stammtischrunden oder Kinoabende. Im Widerstreit zwischen der Bequemlichkeit des digitalen Freizeitangebots und unserem Bedürfnis nach Begegnung trägt meist die Bequemlichkeit den Sieg davon.

Verbindlichkeit und echtes Interesse

Denn, sind wir mal ehrlich, Freundschaften zu pflegen, ist eine Herausforderung. Verbindlichkeit, gegenseitige Unterstützung, Interesse aneinander und Ehrlichkeit bilden den Kitt, der uns verbindet. Ohne persönlichen Kontakt, Kontinuität und die Bereitschaft, im Notfall auf die eigene Bequemlichkeit zu verzichten, ist echte Freundschaft kaum möglich. Wie aber sollen wir im hektischen Alltag auch noch unsere FreundInnen unter einen Hut bekommen, wenn bereits Familie, Arbeit, Freizeit, Me-Time und Haushalt um die begehrten Plätze rangeln? Irgendetwas bleibt stets außen vor, meistens die Freundschaft.
„Obwohl wir immer enger miteinander vernetzt sind, fallen viele von uns durch die Maschen. Überall finden sich Spuren von Unverbindlichkeit“, stellt Karin Kiesele in ihrem Buch „Verbindung und Verbundenheit“ fest. „Wir sagen Treffen mit Freunden ab, weil wir zu müde sind. Wir schwänzen Unternehmungen oder das Fitness-Studio, obwohl wir wissen, dass uns das guttun würde. Und was tun wir stattdessen? Wir ziehen uns zurück und daddeln vor uns hin.“ Schon das Wort „Verbindlichkeit“ löst Panik aus. Es riecht nach Verantwortung und Klotz am Bein. Unser Pflichtbewusstsein bleibt auf Arbeit und Familie beschränkt, mit Freunden möchten wir lieber nur Spaß haben.
Veronika Schantz

Den ganzen Artikel findest du in unserer bewusster leben Ausgabe 6/2025

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