Bricht ein Kind den Kontakt ab, fühlt es sich für die betroffenen Eltern wie ein Beben an. Fassungslos versuchen sie zu verstehen, was geschehen ist – wie gehe ich als Elternteil damit um? Die Familienpsychologin Nina Grimm beleuchtet die Ursachen von Kontaktabbrüchen.
Wenn ein Kind den Kontakt zu seinen Eltern abbricht, geht das für alle Beteiligten mit vielen negativen Gefühlen und offenen Fragen einher. Nagendes Nichtwissen in Kombination mit der Unerreichbarkeit des Gegenübers führt auf der Elternseite oft nicht nur zu Traurig- und Hilflosigkeit, sondern auch zu Wut und Resignation. Das sind heftige Gefühle, die schwer auszuhalten sind, weswegen sich unsere Psyche gerne davor schützt: beispielsweise indem wir uns verschließen, abwenden oder das Kind vielleicht sogar abwerten („Sie war schon immer so kompliziert“, „Ihm konnte man es noch nie recht machen“). Eine Sackgasse. Kind im Rückzug, Eltern auch. Wie wir hier wieder rauskommen und als Eltern die Funkstille vielleicht sogar für uns nutzen können – darum wird es in diesem Artikel gehen.
Kontaktabbruch verstehen
Ein Kontaktabbruch kommt in den seltensten Fällen aus dem Nichts und die Gründe dafür sind vielschichtig und immer individuell. Und dennoch gibt es einige psychologische Ursachen, die sehr wahrscheinlich dazu beigetragen haben, dass sich ein Kind von seinem Elternteil entfernt. Lass uns daher etwas Licht in das oft schwer auszuhaltende Nichtwissen bringen und diese Gründe beleuchten.
Wenn du selbst ein betroffener Elternteil bist und die nachfolgenden Zeilen liest, kann es gut sein, dass sich in dir Widerstand regt. Vielleicht, weil du dir denkst: „So ein Unsinn – so war das bei UNS garantiert NIE!“ Es ist also sehr wahrscheinlich, dass du eine andere Sicht auf die Lage der Dinge hast. Und die ist genauso berechtigt, wie die Wahrheit deines Kindes – von der es im zwischenmenschlichen Bereich niemals nur die eine richtige gibt. Bitte berücksichtigt, dass auch eure unterschiedlichen Perspektiven auf euch und eure Beziehung zu dem Kontaktabbruch beigetragen haben.
Warum sich ein Kind von den Eltern distanziert
Dein aufrichtiges Interesse an der Art und Weise, wie dein Kind die Dinge sieht, ist ein erster wichtiger Schritt, um die zerbrochene Beziehung wieder aufzubauen. Nutze am besten direkt das Lesen des Artikels, um dich dafür zu öffnen, dass es sehr wahrscheinlich ein Schmerz war, der dein Kind dazu veranlasst hat, den Kontakt abzubrechen, und übe dich darin, das als seine Wahrheit stehen lassen zu können. Auch wenn es deiner nicht entspricht. Auch oder gerade wenn es sich anfühlt wie Salz in der Wunde – kannst du dadurch nämlich etwas gewinnen: Wenn du deinen Anteil kennst, kennst du erste Ansatzpunkte, um eure Beziehung wiederzubeleben.
Ich zähle dir die drei häufigsten psychodynamischen Gründe auf, warum sich ein Kind von seinen Eltern distanziert, verbunden mit Hinweisen, was du als Elternteil dazu beitragen kannst, um die Beziehung wiederzubeleben:
- Fehlende Sicherheit
Vielleicht hat sich dein Kind in der Beziehung zu dir nicht ausreichend umsorgt, behütet oder geliebt gefühlt, den Kontakt als kalt erlebt und/oder wiederholt die Erfahrung gemacht, dass es sich auf dich nicht verlassen kann. Der Eltern-Anteil zur Wiederaufnahme der Beziehung: Du musst jetzt einen langen Atem beweisen, Geduld aufbringen, um konstant und zuverlässig vor allem emotional für dein Kind da zu sein. - Autonomie
Vielleicht ist der Kontaktabbruch deines Kindes der verzweifelte Versuch, sein Leben auf seine Art und Weise zu gestalten. Vielleicht hat es dich als übergriffig erlebt und blieb immer wieder mit dem Gefühl zurück, dass seine Grenzen nicht gewahrt werden und/oder dass ihm nichts oder auch zu viel von dir zugemutet wird.
Der Eltern-Anteil zur Wiederaufnahme der Beziehung: Zeige dich einsichtig. Und sei es auch. Bitte dein Kind, dir die Bereiche seines Lebens aufzuschreiben, in denen es sich deine Unterstützung wünscht, in welchem Umfang und bis zu welchem Grad, und versuche, dich daran zu halten. Übe dich darin, deinem Kind Raum zu geben, ihm Dinge zuzutrauen, es öfter nach seiner Meinung zu fragen und diese zu respektieren. - Fehlende Wertschätzung
Vielleicht hat dein Kind in der Beziehung zu dir die Erfahrung gemacht, dass es deinen Ansprüchen nie gerecht werden kann. Egal, wie sehr es sich angestrengt hat, sehr wahrscheinlich blieb es zu oft mit dem Gefühl zurück, dass du nicht würdigst und siehst, was es tut.
Der Eltern-Anteil zur Wiederaufnahme der Beziehung: Überprüfe aufrichtig deine Erwartungshaltung an dein Kind und diszipliniere dich darin, die positiven Eigenschaften deines Kindes wahrzunehmen – und diese im Kontakt auch zu benennen. Übe dich außerdem darin, dein Kind bedingungslos in dem zu unterstützen, was es tut – selbst, wenn es nicht deinen Idealen entspricht.
Generell lässt sich sagen, dass der Auslöser für einen Kontaktabbruch immer eine Form der Resignation ist: Dein Kind hat aus seiner Sicht alles gegeben und weiß sich jetzt nicht mehr anders zu helfen, als sich zurückzuziehen. So ist ein Kontaktabbruch subjektiv betrachtet auch immer eine Form von Schutz. Das gibt dir als Elternteil einen Hinweis auf das Ausmaß der Verletzung, die bei deinem Kind vorliegt.
Nina Grimm
Den ganzen Artikel finden Sie in unserer bewusster leben Ausgabe 2/2025
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