Das dankbare Lächeln eines geliebten Menschen, die Wärme der Sonnenstrahlen auf der Haut, der Duft einer blühenden Rose: es sind die scheinbar kleinen Dinge des Lebens, die das große Glück ausmachen. Wir müssen sie nur sehen.
Heute habe ich eine Verabredung mit dem Glück. Ja, genau so steht es in meinem Terminkalender. Also sitze ich um Punkt vier Uhr nachmittags draußen im Garten auf der kleinen Blumenwiese. Ich lausche dem Wind, der sanft über das Gras streicht, dem Zwitschern der Vögel und dem leisen Summen einer Biene in der Luft. Und neben mir auf der Wiese, inmitten der bunten Blumen liegt es: mein Glückstagebuch. Ein Notizbuch, das ich mir vor langer Zeit gekauft habe, um darin Momente und Erlebnisse festzuhalten, in denen ich glücklich war. Unbeachtet lag es viele Jahre im Dunklen einer Schublade. Jetzt nehme ich das Buch in die Hände und lehne mich in das weiche Gras zurück. Ich wische den Staub vom Einband, schlage ganz gespannt die erste Seite auf und beginne zu lesen.
11. März
Eilig und mit hastigen Schritten gehe ich durch die Stadt. Da fällt mir eine ältere Dame auf, die mir entgegenkommt, gemächlich spazierend, ein freundlicher Blick in den Augen und ein Lächeln auf den Lippen. Unsere Wege kreuzen sich und mit einem Nicken grüßt sie mich, und es ist, als ob ihr Lächeln ansteckend wäre, also lächle auch ich und trage ihr Lächeln auf meinen Lippen weiter. Allein ihr Lächeln hat mich daran erinnert, dass das Leben schön ist.
15. April
Als ich heute Morgen aufgewacht bin, fallen die ersten Sonnenstrahlen durch die Fensterläden und werfen ein Muster aus weißgoldenen Streifen auf die Bettdecke. Ich drehe meinen Kopf zur Seite und schaue dich an, wie du neben mir liegst und noch schläfst. Du kannst es nicht hören, aber ich nehme sanft deine Hand und sage: „Ich liebe dich.“
21. Mai
Heute ist der erste richtige Sommertag. Ich mache ein klein wenig früher Feierabend, schnappe mir mein Fahrrad und fahre an die Aare. Auf einem kleinen Kiesstrand breite ich mein Badetuch aus und lege mich in den Halbschatten einer großen Eiche. Mein Blick gleitet über das türkisfarbene Wasser und die saftig grünen Bäume am anderen Ufer. Ein Graureiher fliegt tief über der Wasseroberfläche vorbei. Nur das gleichmäßige Rauschen des Flusses, das entfernte Rufen eines Kuckucks und das Rascheln der Blätter im Wind sind zu hören. Erst jetzt bemerke ich, wie sehr ich das alles vermisst habe: den Sommer, die Sonne, das Draußensein. Es fühlt sich an, als ob ich aus einem langen Winterschlaf erwachen würde. Lebendig, leicht und frei.
30. Mai
Der Verkäufer an der Kasse wünscht mir einen schönen Tag, und tatsächlich: seine von Herzen kommende Freundlichkeit macht meinen Tag ein klein wenig schöner.
2. Juni
Wir haben den ganzen Tag gebacken und gekocht, den Garten mit Lichterketten und Lampions geschmückt und den großen Holztisch feierlich mit Blumen, Servietten und Kerzen gedeckt. Und nun endlich, um kurz nach sechs, hören wir, wie jemand einen Schlüssel in das Schloss steckt, ihn umdreht und dann die Haustüre öffnet. Wir alle sind mucksmäuschenstill und schauen gebannt zu, wie Nina mit dem Rücken zu uns ihre Tasche abstellt, ihre Jacke in den Garderobenschrank hängt und ihre Schuhe auszieht. Und dann dreht sie sich um. Im ersten Moment zuckt sie erschrocken zusammen, dann springt ihr Blick fragend über unsere grinsenden Gesichter, über die bunten Ballons und den geschmückten Garten. Wir alle rufen: „Überraschung!“ Mit weit aufgerissenen Augen schaut sie uns an und als sie uns dann alle umarmt, lacht sie erst, dann weint sie und dann alles wild durcheinander.
10. Juni
Plötzlich zieht ein Gewitter auf. Ich öffne das Fenster, spüre den Wind im Gesicht und rieche zum ersten Mal in diesem Jahr den Duft von Sommerregen auf dem warmen Asphalt.
24. Juni
Zwei ganze Wochen liegen vor uns. Nur du und ich. Ganz weit weg. Ich nehme deine Hand und lehne mich in den weichen Sitz zurück. Ich liebe weite Zugfahrten. Ich liebe es zu wissen, dass ich während der nächsten Stunden nichts anderes zu tun habe, als stundenlang aus dem Fenster zu schauen und die vorbeiziehenden Landschaften zu beobachten. Ich liebe es, in einem Roman zu lesen oder Musik zu hören, den Lautsprecherdurchsagen zu lauschen und anderen Fahrgästen beim Ein- und Aussteigen zuzusehen. Ich liebe die Aufregung, sobald das Ziel näherkommt. Und ich liebe es, wenn am Horizont plötzlich das Meer auftaucht: tiefblau, im Sonnenlicht glitzernd und unendlich weit.
8. Juli
Nicht nur Wegsein ist schön. Der Moment, in dem man wieder zu Hause ankommt, ist es genauso.
15. Juli
Ein Schmetterling kommt angeflattert und setzt sich auf meinen Unterarm. Ich halte ganz still. Er breitet stolz seine Flügel aus, fast so, als würde er mich mit seiner Schönheit beschenken wollen. Ich spüre das zarte Kribbeln auf meiner Haut und bestaune dieses kleine Kunstwerk der Natur. Als er davonfliegt, sehe ich ihm nach wie er fröhlich in den Himmel tanzt, bis er kleiner wird und im unendlichen Blau verschwindet.
18. Juli
Als ich sehe, wie ein junger Mann angerannt kommt, stelle ich meinen Fuß in die Tür. Er schafft es gerade noch in die Bahn, bevor sie losfährt. Er schnauft angestrengt, dann lächelt er mich an und sagt: „Danke.“
27. Juli
Jetzt gerade ist einer dieser flüchtigen Momente, in denen mir bewusst wird: Ich lebe. Ich habe das große Geschenk bekommen, dass ich auf dieser Erde zu Gast sein darf. Wie lange auch immer. Aber jetzt bin ich hier. Und ich habe Augen, mit denen ich die Wunder dieser Welt sehen kann, Beine, die mich durch das Leben tragen, Ohren, mit denen ich Musik hören kann, Menschen, die ich liebe und die mich lieben. Ich darf sein, wie ich sein möchte, sagen, was ich denke und das tun, was ich für richtig halte. Brauche ich noch mehr, um glücklich zu sein?
Es braucht nicht viel
Nachdem ich mein Glückstagebuch zur Seite gelegt habe, denke ich: Eigentlich ist glücklich sein einfach. Es braucht gar nicht viel. Oft suchen wir nach dem großen Glück und übersehen dabei das kleine. Wenn wir unser Glück von einem Ziel in der Zukunft abhängig machen, hindern wir uns selbst am Glücklichsein. Und das Traurige ist: Oft stellen sich die dann erhofften Glücksgefühle gar nicht ein. Vielleicht erleben wir einen kurzen Moment der Euphorie, des Rausches – doch die alltäglichen Sorgen holen uns schnell wieder ein. Also suchen wir uns das nächste Ziel. Doch unser Glück liegt nicht irgendwo in der fernen Zukunft. Es liegt im Hier und Jetzt. Es liegt in der Umarmung eines geliebten Menschen, im fröhlichen Lachen eines Kindes und in der Schönheit eines Sonnenuntergangs.
Oft bemerken wir unser Glück erst im Nachhinein
Meist sind sie flüchtig und zart diese Glücksgefühle. Glücksgefühle kommen nicht polternd, schreiend und um sich schlagend, wie der Schmerz, das Leid oder der Ärger. Meist sind sie flüchtig und zart, kommen sachte, sind sanft und friedlich und ziehen leise wieder davon. Und so bemerken wir oft erst im Nachhinein, wie glücklich wir waren. Dann, wenn wir es nicht mehr sind. Doch die gute Nachricht ist: das lässt sich ändern. Denn ob wir uns glücklich fühlen oder nicht, hängt zu einem großen Teil davon ab, worauf wir unsere Aufmerksamkeit lenken. Und das haben wir selbst in der Hand. Wir können wählen, ob wir das Glück in unserem Leben sehen, oder nicht.
Offen für das, was da noch kommt
Ich klappe mein Glückstagebuch zu, halte es noch eine Weile in meinen Händen, dann lege ich es neben mir ins Gras. Ich fühle mich wie aufgeladen, randvoll mit Freude, Inspiration und Dankbarkeit. Dankbarkeit für all das Glück, das ich bereits erleben durfte – und offen für das, was da noch kommt.
Jacqueline Fischer
Noch mehr Artikel zum Thema “Glücksgefühle” finden Sie in unserer bewusster leben Ausgabe 4/2025