Voll das Leben

Die Sache mit dem Älterwerden ist für viele von uns gar nicht so einfach. Die Frage lautet also: Wie finden wir zu einer positiven Perspektive auf die letzte Lebensphase?

Bin ich mit 60 alt? Oder erst mit 80? Ist heute eine Frau mit 40 noch jung, während sie vor hundert Jahren bereits als Matrone galt? Eine gestiegene Lebenserwartung und die moderne Medizin erlauben uns, den Gedanken an die eigene Vergänglichkeit immer weiter hinaus­-
zuschieben. Doch der Kampf gegen den eigenen Verfall scheint immer früher zu beginnen.
Ich erinnere mich an den 45. Geburtstag einer Freundin. Zu zehnt saßen wir bei Kaffee und Kuchen, um über Gott und die Welt zu sprechen. Eigentlich mehr über Gott, genau genommen über Geras, der in der griechischen Mythologie das hohe Alter verkörpert. Obwohl namentlich nicht genannt, drehte sich die ganze Unterhaltung um seine Versuche, uns die Jugend zu rauben, und unsere Versuche, weitere Stippvisiten dieses unwillkommenen Gastes auf den Sankt-Nimmerleinstag zu verschieben. Wir fachsimpelten über Lidstraffung, Intervall-Diät, Botox-Spritzen und Wonderbra. Wir klagten über Zuviel an Bauchfett und Zuwenig an Konzentration. Tipps und Tricks machten die Runde, wie wir mit der richtigen Augengymnastik, täglicher Fitness-Routine und dem passenden Superfood unsere schwindende Sehkraft, lästige Zipperlein und chronische Krankheiten besiegen.

Das Alter hat einen schlechten Ruf

Alle schienen sich einig zu sein: Älterwerden sei eine Heimsuchung. Da warf auf einmal die Älteste am Tisch eine Frage in die Runde: „Ja, wollt ihr denn lieber früh sterben?“ Plötzlich herrschte Stille. Nur in den Köpfen schien es zu rattern, bis auch bei der Letzten endgültig einrastete, dass nicht ewige Jugend, sondern vorzeitiger Tod die Alternative zum Altwerden ist. Danach verstummten die Klagen.
„Altern hat einen schlechten, Angst einflößenden Ruf“, schreibt Hannelore Dierks, „und wird mit Verlust und Gefahr belegt.“ Die 82-jährige Kinderbuchautorin und Pädagogin betrachtet in ihrem Buch „Wir jungen Alten“ den letzten Lebensabschnitt wie durch ein Kaleidoskop und entdeckt dabei einen unerwarteten Facettenreichtum.

Es gilt als Zeichen von Schwäche

Doch unsere Leistungs- und Anti-Aging-Gesellschaft verwehrt uns diese vielfältige Perspektive. In ihr gilt Alter als Zeichen von Schwäche und Hinfälligkeit, und wer „Forever Young“ nicht hinbekommt, ist selber schuld. Jungsein bekommt so einen nahezu absoluten Wert. Ein Grund, warum viele ältere Menschen heute in einem Gefühl ständigen Mangels leben. Und so richtet sich ihre Energie oft allein darauf, sich Geras vom Leib zu halten. Das Haus wird verbarrikadiert, Fenster und Türen vergittert, wir montieren Alarmanlagen und Poller im Hof, bis die ganze Anlage besser als Fort Knox geschützt ist. Hadernd und verängstigt warten wir auf den letzten unausweichlichen Kampf.
Weil wir aber im Grunde unseres Herzens wissen, dass all diese Abwehrmaßnahmen, das Altern nicht aufhalten, könnten wir genauso gut, etwas anderes ausprobieren. Dabei liegt die Alternative nicht im resignierenden Sich-gehen-Lassen und trägen Pantoffeldasein, sondern in der Akzeptanz der Veränderung …
Veronika Schantz

Buchtipp: Hannelore Dierks, Wir jungen Alten – Von der Dynamik unseres Lebens, Patmos Verlag

Den ganzen Artikel finden Sie in unserer Ausgabe bewusster leben 5/2022


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