Die Kraft des Mitgefühls

Wissenschaftliche Studien belegen, dass ein mitfühlendes Miteinander auch eine heilende Wirkung auf Körper und Seele hat. Aljoscha Long und Ronald Schweppe zeigen, wie wir die lebensverändernde Kraft des Mitgefühls in uns kultivieren können.

Zu den größten Hindernissen für unser Glück gehört unsere Angewohnheit, das Wesentliche mit dem Unwesentlichen zu verwechseln. Im Buddhismus gilt dieser Zustand der Verwirrung und Täuschung als eines der drei Geistesgifte (die anderen beiden sind Hass und Gier). Es ist aber nicht unser Herz, das verwirrt ist oder sich täuscht. Die Täuschungen, Verwirrungen und Selbsttäuschungen kommen aus den Gedanken.

Mitgefühl ist unsere Fähigkeit, einem Menschen mit ganzem Herzen zu begegnen

Unterm Strich gibt es nicht sonderlich viele Dinge, die wirklich wesentlich sind. Wenn du der Sehnsucht nachspürst, die hinter all deinen vordergründigen Wünschen und Zielen liegt, wirst du wahrscheinlich letztlich sehr einfache Dinge finden: die Sehnsucht nach innerem Frieden, nach Harmonie, Gelassenheit, Freiheit und insbesondere die Sehnsucht nach deinem Herzen, nach der Liebe in dir. Oder sagen wir lieber „Mitgefühl“, denn dieses Wort ist nicht so vieldeutig wie „Liebe“. Mitgefühl ist unsere Fähigkeit, einem anderen Menschen mit ganzem Herzen zu begegnen und innerlich mit ihm zu sein. Es ist das Gefühl der Anteilnahme, das auftritt, wann immer wir fremdem Leiden begegnen, und es beinhaltet zugleich den Wunsch, dieses Leiden zu lindern. Und natürlich ist diese Sensitivität gegenüber Leiden nicht auf andere Menschen beschränkt: Sie schließt unser eigenes Leiden mit ein. Und auch das Leiden anderer, nicht menschlicher Wesen und der Natur. Mitfühlenden Menschen ist es wichtig, gut für andere zu sorgen. Und für sich selbst – doch das Selbst steht nicht im Mittelpunkt. Paradoxerweise erhöht es ihr Glück, gerade weil sie ohne Gedanken an ihr Selbst handeln. Andere auf diese selbstlose Weise zu lieben heißt, dass wir ihnen nur das Beste und alles Glück der Welt wünschen. Dein Mitgefühl ermöglicht es dir, andere im Inneren zu berühren und dich von ihnen berühren zu lassen. Und obwohl Mitgefühl und Güte zur menschlichen „Grundausstattung“ gehören, kannst du doch viel dafür tun, damit diese Qualitäten in dir nicht verkümmern, sondern mehr und mehr erblühen.

Viele Wege – ein Ziel

Immer mehr Menschen scheinen sich heute an das zu erinnern, was eigentlich ganz selbstverständlich sein sollte: dass wir nämlich ruhig ein wenig freundlicher und zuvorkommender miteinander umgehen und nicht so sehr gegeneinander kämpfen als vielmehr miteinander leben sollten. Aber auch wenn Mitgefühl „in“ ist, bedeutet das natürlich nicht, dass es eine oberflächliche Modeerscheinung ist. Es ist eine wichtige menschliche Fähigkeit, die kultiviert werden kann – etwa so wie Achtsamkeit, Gelassenheit oder Konzentration. Und natürlich musste niemand erst Mitgefühl „erfinden“: Eltern umsorgen ihre Kinder mitfühlend, Kinder streicheln ihre Hunde oder Meerschweinchen, Krankenschwestern und Ärzte kümmern sich um Leidende, Organisationen setzen sich dafür ein, dass Hungernde Nahrung bekommen und Kinder auch in Krisenregionen in die Schule gehen können. Auf der ganzen Welt arbeiten unzählige Menschen ehrenamtlich für mehr Menschlichkeit und Gerechtigkeit – und immer ist es ihr Mitgefühl, das sie motiviert.

Wir alle können Teil dieser globalen Bewegung des Mitgefühls sein, die als einzige die Macht hat, uns und unseren Planeten zu heilen. Und dabei ist es ganz egal, ob wir aktiv dazu beitragen, die Welt zu retten, oder ob wir unsere Katze liebevoll füttern und unseren Nachbarn anlächeln. Was zählt, ist einzig unsere Absicht zu lieben.
Es gibt viele Möglichkeiten, Mitgefühl zu leben und das Positive in dir zu nähren. Du kannst Organisationen darin unterstützen, Nahrungsmittel und Hilfsgüter in Krisengebieten zu verteilen, oder in deinem Zimmer sitzen und meditieren, um deinen Geist zur Ruhe zu bringen und dein Herz zu öffnen. Du kannst deine Zeit damit verbringen, zu telefonieren oder zu chatten, um Freunden beizustehen, die eine schwierige Zeit durchleben, oder du kannst gut für deine Familie sorgen. Du kannst jemanden anlächeln, der traurig aussieht, oder jemanden, der nicht klarkommt, fragen, ob du ihm helfen kannst. Die Möglichkeiten sind unendlich und sie bieten sich dir jeden Tag.

Zum Weiterlesen: Aljoscha Long/Ronald Schweppe, “Mit dem Herzen siehst du mehr”, Lotos Verlag, 18 Euro

Den ganzen Artikel finden Sie in unserer Ausgabe bewusster leben 1/2021

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